Patricia Hofmann • 27. November 2023
Zur Bedeutung und Wahrung der sexuellen Selbstbestimmung.
Österreich im Jahr 2023: Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass jede:r die Bedeutung des Wortes "Nein" kennt. Dem Duden nach ist es jedenfalls klar: Nein drückt eine Bekräftigung der Ablehnung oder eine verneinende Antwort aus. Kurzum: Nein bedeutet Nein. Nein, danke. Nein, ich möchte nicht. Der klare Ausdruck einer Willenserklärung.
Sexualstrafrecht
In Österreich regelt das Strafgesetzbuch die strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung. So ist nicht nur unter Strafe gestellt, wenn eine Person mit Gewalt zum Beischlaf genötigt wird, sondern macht sich auch strafbar, wer mit einer Person gegen deren Willen den Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vornimmt. Denn damit wird der oder die Betroffene in der sexuellen Selbstbestimmung verletzt. So weit, so klar. Aber was bedeutet "gegen deren Willen"? Was bedeutet es, wenn die Person ihr Nicht-Einvernehmen nicht zum Ausdruck bringen kann?
"Gegen deren Willen"
Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt (Istanbul-Konvention) verpflichtet die Vertragsparteien, zu denen auch Österreich gehört, unter anderem dazu, nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlungen unter Strafe zu stellen. Dies führte unter anderem im Jahr 2016 zur Einführung des § 205a StGB, welcher die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung normiert. Damit ist unter anderem strafbar, wer mit einer Person gegen deren Willen den Beischlaf vollzieht.
Aufgrund dieser Formulierung muss das Opfer nach außen kundtun, dass es in die geschlechtliche Handlung nicht einwilligt. Das bedeutet: Der gegenteilige Wille des Opfers muss für den:die Täter:in erkennbar sein. Eine solche Bekundung des Gegenwillens könnte verbal zum Ausdruck gebracht werden, zum Beispiel durch ein "Nein", aber auch durch ein Abwenden oder wenn das Opfer zu weinen beginnt. In der ersten Regierungsvorlage zu diesem Gesetz war eine weiterführende Formulierung angedacht, und zwar: "ohne deren Einverständnis". Dies wurde jedoch abgeändert zu: "gegen deren Willen". Das heißt, dass es nicht einer Einwilligung im Sinne eines "Ja" bedarf, sondern das Opfer eben nach außen bekunden muss, dass es nicht will.
Freezing als Angstreaktion des Opfers
Aus psychosozialer Sicht ist dies insbesondere deshalb problematisch, da Opfer in solchen traumatischen Ausnahmesituationen – und genau das sind sexuelle Grenzüberschreitungen – sehr unterschiedlich reagieren. Ja, es gibt jene, die verbal ihren Gegenwillen zum Ausdruck bringen können und es vermögen, sich zur Wehr zu setzen. Aus traumapsychologischer Sicht ergibt sich aber noch ein weiteres Szenario – das sogenannte "Freezing". Hierbei handelt es sich um eine Art Schockstarre, die eintritt, wenn weder "Kampf" noch "Flucht" wirksam ergriffen werden können. Auch wenn in solchen Fällen kein "Nein" und keine Abwehrhandlung erfolgen, ist die Zustimmung zu den sexuellen Handlungen jedoch nicht gegeben. Sohin können auch Fälle von "Freezing" als physische Reaktion des Opfers und dem in der Folge scheinbar teilnahmslosen Über-sich-ergehen-Lassen von Übergriffen aufgrund von Angst unter den Tatbestand der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung subsumiert werden.
Übergriffe, die unter solchen Umständen passieren, stellen strafrechtlich eine große Herausforderung dar, da es zu massiven Beweisschwierigkeiten kommt und alles außerhalb eines eindeutigen (nachzuweisenden) "Nein" des Opfers einen großen Interpretationsspielraum über die Einvernehmlichkeit sowie den Vorsatz des:der Täter:in lässt. Es stellt sich daher die Frage, was bei der Gesetzgebung gegen die Einführung der Formulierung "ohne Einverständnis" gesprochen hat. Natürlich verschwinden auch damit nicht die Beweisschwierigkeiten, denn auch ein Einverständnis wäre juristisch aus Beweissicht zu würdigen. Jedoch ergibt sich daraus eine andere Haltung gegenüber den Betroffenen und der Thematik.
Sexueller Missbrauch einer wehrlosen Person
Anschließend an den oben bereits erwähnten Fall des "Freezing" stellt sich auch die Frage, was die Situation ist, wenn das Opfer gar nicht in der Lage ist, seinen Gegenwillen zu den sexuellen Handlungen zu bekunden, weil es sich in einem wehrlosen Zustand befindet. Dazu sieht das Strafgesetzbuch eine eigene Bestimmung vor. Als "wehrlos" wird beispielsweise eine bewusstlose, infolge Alkoholgenusses willenlose oder schlafende Person bezeichnet. Es sollen also jene Personen geschützt werden, die zustandsbedingt (sei es aufgrund von Schlaf oder einer starken Alkoholisierung) zu einer freien Selbstbestimmung nicht mehr imstande sind. Der Missbrauch liegt nur dann vor, wenn der:die Täter:in das Opfer in einer gegen dessen Interessen gerichteten Weise ausnützt. Nach den Materialien zu diesem Gesetz bedeutet dies unter anderem, dass ein Missbrauch dann zu verneinen ist, wenn das Verhalten von Täter:innen auf menschlicher Zuneigung beruht und offensichtlich auf die Begründung einer dauerhaften und rücksichtsvollen Beziehung angelegt ist. Die Literatur zu dieser Bestimmung übernimmt diese Annahme und auch uns vorliegende gerichtliche Entscheidungen zeigen, dass diesem Tenor gefolgt wird.
"Veranschaulichen wir das Ganze etwas: Ein:e Beziehungspartner:in ist volltrunken und schläft, der:die andere vermeint sexuelle Lust zu verspüren und nimmt – ohne dass es die schlafende Person mitbekommt – den Geschlechtsverkehr vor. Zu einem "Nein" ist die:der schlafende Partner:in zustandsbedingt nicht fähig. Also kein "Nein". Wie kann der:die sexuell aktive Partner:in wissen, was die "nicht ansprechbare" Person in diesem Moment möchte? Unabhängig vom strafrechtlichen Aspekt: Kann das wirklich eine Handlung sein, die im Rahmen einer "rücksichtsvollen" Beziehung passiert und demnach nicht strafbar sein soll?
Warum nicht "Ja ist Ja"?
Psychosozial ergibt sich aus der "Nur ein Nein ist Nein"-Linie ein weiteres Problem, nämlich jenes, dass das Opfer in eine Rechtfertigungsposition gerät. Das Phänomen des "Victim Blaming" macht die Betroffenen für die ihnen widerfahrene Gewalt verantwortlich, nicht selten sehen sich Opfer von sexueller Gewalt mit Fragen konfrontiert wie etwa "Wieso hast du so viel getrunken?" oder "Warum warst du so leicht bekleidet?". Dieselbe Logik ergibt sich in der Frage "Warum hast du nicht Nein gesagt?". Die Verantwortung wird von dem:der Täter:in auf das Opfer übertragen.
Die Frage nach dem eindeutigen "Ja" hingegen lässt – zumindest im psycho-sozialen Sinne – wenig Platz für Zwischenräume, es gibt kein "über sich ergehen lassen" oder "halt nachgeben", denn klar ist: Alle Anzeichen und Signale, die kein eindeutiges Einverständnis suggerieren, sind als "Nein" zu deuten.
Aber sind wir im Jahr 2023 immer noch nicht so weit zu sagen, dass nur ein "Ja" ein "Ja" ist? Viele Fragen, die diskutiert werden sollten, um der sexuellen Selbstbestimmung eines:r jeden Einzelnen Gehör zu schenken. Was sagen Sie dazu?
Dieser Artikel ist (in ähnlicher Form) bei derStandard.at bereits am 14.11.2023 im Gastblog "Mit Recht gegen Gewalt" von Patricia Hofmann erschienen.
Co-Autorin dieses Beitrags ist Miriam Jutz. Sie
ist Soziologin und Sozialarbeiterin. In ihrer Tätigkeit als Beraterin in einer Opferschutzeinrichtung unterstützt sie Betroffene von Gewalt.
Disclaimer: Wir haben die Recherchen nach unserem besten Wissen und Gewissen durchgeführt, möchten aber klarstellen, dass es sich hierbei um keine Rechtsberatung handelt und wir deshalb auch keine Haftung übernehmen können. Bitte beachten Sie auch, dass die obige Darstellung nicht zwangsläufig auf die individuellen Situationen übertragbar ist. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurden im Text hauptsächlich geschlechtsneutrale Formen verwendet. Selbstverständlich gelten sämtliche Personenbezeichnungen gleichermaßen für alle Geschlechter.
KANZLEI CHRISTINA TOTH
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